Rat legt Rathausanbau auf Eis
Rede (es gilt das gesprochene Wort)
Herr Oberbürgermeister,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Meine Damen und Herren.
Die angespannte Haushaltslage ist eingangs von Ihnen, Herr Oberbürgermeister, und von Ihnen, Herr Stadtkämmerer, bereits dargestellt worden und wird uns ohne Zweifel intensiv die kommenden Wochen und Monate begleiten. Hier eine für alle Seiten, Bürgerinnen und Bürger, wie auch Beschäftigte in der Verwaltung zu finden, wird eine große Herausforderung sein. Nach 10 Jahren Stärkungspakt Stadtfinanzen hatten wir uns nicht gewünscht, so schnell wieder an diesen Punkt zu gelangen. Und dass am Ende des Tages dieses Projekt, also der lange geplante Rathausanbau, dem Rotstift zum Opfer fallen wird, hatten wir so nicht erwartet, ist aus unserer Sicht im Ergebnis aber nur folgerichtig.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die sich damit nachvollziehbar noch einmal verstärkte Flüchtlingssituation, die ebenfalls aus der Situation heraus gestiegenen Preise genauso, wie die überraschende Entscheidung der schwarz-grünen Landesregierung, die ab 2024 im Koalitionsvertrag festgelegte Altschuldenregelung der Kommunen zu streichen, haben unzweifelhaft ihren Beitrag zur Haushaltslage der Stadt beigetragen. Wir dürfen dabei aber nicht verschweigen, dass auch wir alle in der Vergangenheit Projekten zugestimmt haben, die freiwillig waren und nicht zu den hoheitlichen Aufgaben einer Kommune zählten. Dies wird wohl in nächster Zeit so nicht mehr weitergehen können und auch andere Projekte werden vermutlich auf der Streichungsliste landen. Wir werden uns in den kommenden Wochen intensiv mit dem Haushalt beschäftigen, aber auch dieser Aspekt, dass nicht alle Ursachen außerhalb unserer Reichweite liegen, darf dabei nicht außer Acht gelassen werden.
Die Kolleginnen und Kollegen der ödp haben genauso wie wir jahrelang dafür gekämpft, dass sich die Stadt von diesem defizitären Saalbau trennt, und wir haben es sehr begrüßt, dass die Ratsmehrheit nach so langer Zeit letztlich zum selben Ergebnis gekommen ist. Nicht weniger fordern wir seit Jahren auch, die Zerfaserung der städtischen Ämter zu beenden und die insbesondere in Mietobjekte ausgelagerten Dienststellen in einem Gebäude zusammenzulegen. Und ja, zur Wahrheit gehört auch dazu, dass wir uns dabei ebenfalls vorgestellt hatten, dies auf dem Saalbaugrundstück zu realisieren.
Aber nicht um jeden Preis, liebe Kolleginnen und Kollegen. Außerdem fanden diese Überlegungen zu einem Zeitpunkt statt, an dem die heute zu diskutierenden Varianten überhaupt nicht vorstellbar waren und die geschätzten Baukosten sich noch im zweistelligen Millionenbetrag bewegten.
Schon bei der Siegerehrung für den durchgeführten Architekturwettbewerb haben wir als FDP gesagt, dass aus unserer Sicht das Gebäude viel zu umfangreich bemessen ist und in dieser Form auch monetär nicht darstellbar sein wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Oberbürgermeister, wir haben hier ein Gebäude für mindestens die nächsten 50 Jahre geplant. Das war auch sicherlich richtig so. Aber wir müssen uns im Jahre 2023 auch den Lebens-Realitäten der Bürgerinnen und Bürger, genauso wie denen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Verwaltung stellen: Flexible Arbeitszeiten, 4 Tage Wochen und vermehrtes HomeOffice führen nicht nur in der Wirtschaft dazu, dass die Nachfrage nach Büroräumen stark gesunken ist. Auch die Verwaltung muss sich infolgedessen überlegen, ob der Arbeitsplatz im Rathaus in 5 Jahren, in 10 Jahren, in 20 Jahren noch so aussieht, wie heute und ob es die klassische Amtsstube dann noch so geben wird. Sie müssen sich auch überlegen, ob es für einen amtlichen Vorgang wirklich immer erforderlich ist, dass sich zwei Personen physisch gegenübersitzen.
Auf die Personalsituation werden wir bei der Haushaltsberatung sicherlich noch einmal zu sprechen kommen; wie in jedem Jahr. Aber Sie müssen sich tatsächlich, und daran wird bei der Haushaltsentwicklung kein Zweifel bestehen, über kurz oder lang der Frage stellen, wie lange sich die Stadt Bottrop mit etwa 117.000 Einwohnern einen so großen Verwaltungsapparat noch leisten will, oder kann. An die Antwort schließt sich dann die Frage an, ob wir tatsächlich Verwaltungsgebäude (ein oder mehrere) in dieser Größenordnung langfristig benötigen werden oder ob es nicht doch auch eine Nummer kleiner geht.
Wir Freie Demokraten haben zu diesem Thema in der Vergangenheit (so auch heute) bereits viel gesagt und deutlich gemacht, dass wir einen Rathausanbau nach den vorgelegten Plänen nicht mittragen werden. Wir begrüßen daher den vorliegenden Beschlussvorschlag, das Projekt „Rathausanbau“ auf Eis zu legen, und werden in allen drei Punkten auch zustimmen.
Aber auch wenn Sie, Herr Schmidt, in der Sitzung des HFA den Eindruck erweckten, ich hätte dort eine völlig neue Forderung zur Sache aufgestellt, so muss ich festhalten, dass für uns Freie Demokraten immer die Veräußerung oder Verpachtung des Saalbaugrundstücks genauso eine mögliche Option dargestellt hatte, wie der Bau eines eigenen Gebäudes. Über die Einnahmen ließe sich beispielsweise die Verlagerung von Dienststellen der Stadt in die Innenstadt oder die Modernisierung von Bestandsimmobilien finanzieren. Die Saalbaufläche könnte in einem solchen Fall der Hochschule Ruhr-West angeboten werden, oder als Gründerzentrum für Startups aus der HRW ebenso, wie für generationenübergreifenden Wohnraum zur Verfügung gestellt werden. Und dies sind nur ein paar von sicherlich vielfältigen Möglichkeiten.
Herr Oberbürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen. Zu einer seriösen Beurteilung gehört für uns dazu, dass alle Optionen auf den Tisch kommen und dass nicht unbequeme Varianten von vorneherein ausgeschlossen werden. Aus diesem Grund sind unsere Forderung und unser Änderungsantrag, eine Veräußerung oder Verpachtung des Grundstücks in die Betrachtung aufzunehmen, weder überraschend noch unschicklich, sondern absolut gerechtfertigt und folgerichtig. Diese Variante zu betrachten, gehört für ein vollständiges Bild genauso dazu, wie die Null-Variante, bei der alles bleibt, wie es ist. Und es bedeutet ja nicht zwangsläufig, lieber Herr Schmidt, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass davon auch Gebrauch gemacht wird. Wir würden es daher begrüßen, wenn der Rat unserem Änderungsantrag folgen würde und auch einen Verkauf oder eine Verpachtung des Saalbaugrundstücks in das Nutzungskonzept als weitere mögliche Variante aufnehmen würde.
(Andreas Mersch)